Betriebliche Jugendgruppen – Chance oder Gefahr für die verbandliche Jugendarbeit?

Erik Flügge
Erik Flügge
Erik Flügge

Die Ausbildung und Gewinnung von qualifiziertem Nachwuchs wird für immer mehr Unternehmen zur zentralen Zukunftsfrage. Bereits heute ist es in Ostdeutschland nicht mehr ungewöhnlich, dass Azubis mit Dienstwägen von mittelständischen Unternehmen gelockt werden müssen. Der demografische Wandel wird diesen Druck nach ganz Deutschland tragen. Eine logische Konsequenz für Unternehmen ist daher die Schaffung eigener Angebote der Jugendarbeit, um junge Menschen früh an sich zu binden. Ob es Jugendverbänden gelingt diese Prozesse zu gestalten, statt von ihnen überrollt zu werden, ist für sie die eigene entscheidende Zukunftsfrage.

Immer, wenn ich mit meiner Demografiesimulation in einen Verband komme, werden auch für mich neue Fragen aufgeworfen und neue spannende Antworten gegeben. So auch bei der Tagung der Diözesangeschäftsführer des Traditionsverbandes Kolping. Mit ihnen gemeinsam simulierte ich den demografischen Wandel bis ins Jahr 2050 in vier kleinen Dörfern, um aus dem Erlebten neue Perspektiven für die Nachwuchsförderung im Verband zu entwickeln.

Ich habe diese Simulation schon oft durchgeführt und natürlich kommt auch immer die Frage auf, wo in Zukunft die Unternehmen noch ihre Azubis herbekommen sollen. Aber ein Gedanke war auf dieser Veranstaltung neu. Nämlich, dass mittelständische Unternehmen, die sich vor Ort halten wollen, selbstverständlich damit beginnen werden, eigene Angebote der Jugendarbeit zu entwickeln.

Stimmt, aus Sicht der Unternehmen wäre das verdammt schlau. Die Kosten zur Schaffung von Angeboten der Jugendarbeit halten sich in engen Grenzen im Verhältnis zu den Kosten, die durch Fachkräftemangel entstehen. Eine eigene Jugendarbeit von Betrieben böte große Chancen, denn die finanzielle Kraft von mittelständischen Unternehmen reicht problemlos aus, um hochwertige, spannende und im besten Falle pädagogisch wertvolle Angebote für Jugendliche zu schaffen. Schließlich braucht es auch nicht viel Vorstellungskraft, um zu schließen, dass eine Person, mit der man fünf mal auf einer Sommerfreizeit im Zeltlager war, eine große Überzeugungskraft entfalten kann, wenn sie mir schließlich im Jugendalter eine Ausbildung und im Anschluss eine weitergehende Berufsperspektive anbietet.

Junge Menschen, die noch keine eigenen Erfahrungen mit Berufen gewonnen haben, sind auf der Suche nach guten Ratgebern und vertrauten Personen, die Lotsenfunktionen in die Berufswelt übernehmen können. Ein Freizeit- oder Jugendleiter, der einen Jugendlichen seit Kindertagen an kennt und begleitet, ist eine Person, die eine gute Einschätzung über die fachliche Eignung und die Motivation junger Menschen abgeben kann. Gleichzeitig ist eine solche Person auch Vertrauensperson über das Elternhaus hinaus. Ein potentieller Ansprechpartner für die Frage nach dem richtigen Berufswunsch und möglicher Unterstützer für Ausbildungsplatzsuche und Bewerbung.

Gehen wir gedanklich ein paar Jahre voran. Die Anzahl der Jugendlichen hat sich insgesamt verringert. Auf Verbänden, Vereinen und Kirchen lastet ein großer Rekrutierungsdruck. Jeder Jugendliche, der für die eigene Organisation gewonnen werden kann, ist wertvoller geworden. Gleichzeitig verringern höhere Todeszahlen als Neueintritte in Organisationen von Jahr zu Jahr die finanzielle Potenz und damit das Potential, die eigene Arbeit weiter zu professionalisieren.

Stellen wir uns vor, in einer solchen Welt träte ein mittelständisches Unternehmen mit einer eigenen Jugendarbeit auf den Plan. Ein paar gute und charismatische Pädagogen, die den Auftrag haben, Kinder- und Jugendfreizeiten im Sommer zu organisieren. Reisen, die stark bezuschusst oder kostenfrei sind. Reisen, auf denen junge Menschen Spaß haben und vieles miteinander erleben: singen, spielen, Lagerfeuer, ein Burg bauen, Fahnen klauen, das erste Bier, den ersten Kuss und erste eigene Leitungserfahrungen. Das Ganze finanziert aus den Gewinnen eines Maschinenbauers, der weiß, dass diese Form der Jugendarbeit Zugänge ermöglicht, um ganz unterschiedliche Talente für sein Unternehmen zu identifizieren und zu binden.

Die Jugendverbände würden allesamt an den Rand gedrängt. Weder können sie professionelle Strukturen der Jugendarbeit in der kompletten Fläche eines Landes unterhalten, noch können sie mit den Subventionen von mittelständischen Unternehmen mithalten. Ihre Freizeitangebote wären zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit pädagogisch wertvoller, aber auf den ersten Blick weniger spannend und deutlich teurer und damit leider unattraktiver.

Ich bin Jugendverbandler von ganzem Herzen. Ich habe Freizeiten und Jugendgruppen geleitet, wurde in Gremien gewählt und habe für einen Landesjugendring gearbeitet. Ich liebe die Jugendverbandsarbeit und bei dem Gedanken daran, dass der Verband, der mir so viel geschenkt hat, gegen mittelständische Unternehmen im ländlichen Raum nicht bestehen kann, dreht sich mir den Magen um. Darum wage ich eine These, wohlwissend, dass ich mir mit dieser keinen Applaus einfange, sondern viel Kritik und Widerstand: Wollen wir Dienstleister von Unternehmen werden?

Wir aus den Jugendverbänden haben etwas, womit wir handeln treiben können. Wir können das, was wir tun, verdammt gut. Wir können großartige Kinder- und Jugendfreizeiten organisieren. Wir können junge Menschen zu echten Leitungspersonen ausbilden. Wir können Freiräume eröffnen, damit junge Menschen ihren eigenen Weg gehen können. Kein mittelständisches Unternehmen kann das in gleicher Qualität. Kein kommerzieller Anbieter von Jugendreisen kann das auch nur ansatzweise mit der gleichen Leidenschaft. Sollten wir diesen Vorsprung nicht nutzen, solange wir ihn noch haben?

Der Aufbau einer eigenen Jugendarbeit wird nur im Anfang eine Herausforderung für mittelständische Unternehmen werden. Wo bekomme ich gutes Personal her? Wie gestalte ich Angebote, so dass Jugendliche diese genießen können? Wie schaffe ich es, Jugendarbeitsstrukturen so aufzubauen, dass diese nicht von Anfang an verzweckt sind, aber am Ende ihren Zweck für mein Unternehmen erfüllen? Irgendwann aber werden diese Probleme gelöst sein. Gelöst, weil wir uns unsere Bildungsreferenten nicht mehr werden leisten können und weil diese mit ihrem Know How zum Teil auch zu Unternehmen abwandern werden, die besser Löhne bezahlen können. Damit diffundiert unser Wissen über qualitativ hochwertige Jugendarbeit in die Betriebe, aber der Gedanke des Jugendverbandes bleibt auf der Strecke.

Ich denke an den Anfang und schlage hiermit vor, ihn selbst zu machen. Schauen wir auf Dörfer und kleine Städte, in denen einer oder einige mittelständische Unternehmen ihren Sitz haben und von denen wir wissen, dass sie in den nächsten Jahren Rekrutierungsprobleme bekommen werden. Gehen wir dort hin und klopfen an. Bitten wir diesmal nicht um eine Spende für unser neues Zeltmaterial, sondern verhandeln wir auf Augenhöhe: Ihr finanziert uns einen Bildungsreferenten hier vor Ort und sponsert Jugendfreizeitangebote und wir führen diese professionell durch. Wir gehen im Gegenzug in einen engen Austausch mit euren Personalabteilungen, um zu verstehen, welche Eigenschaften junge Menschen mitbringen müssen, um erfolgreich IHREN Weg in diesen Unternehmen gehen zu können. Wir lernen, für welche Jugendliche eine Ausbildung in diesen Unternehmen wirklich passt. Wir lernen, wer der richtige BA-Student für diese Unternehmen sein kann und empfehlen einen solchen Weg an junge Menschen, zu denen dieser Weg gut passt. Wir helfen, werden Lotsen und damit auch Dienstleister, aber wir verstehen uns nicht als Rekrutierungsschmiede. Wir tun schlicht das, was wir seither auch getan haben, wenn wir mit Jugendlichen gearbeitet haben: Wir helfen ihnen eine gute und richtige Berufsentscheidung zu treffen und einen Ausbildungsplatz zu finden. Der Unterschied ist schlicht, wir lassen uns in Zukunft dafür von denen bezahlen, die heute schon von unserer Arbeit profitieren.

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