Bitte kritisiert die Polizei!

Seit Köln und Hamburg kann man Polizeieinsätze in Deutschland kaum mehr diskutieren. Dabei ist der Kern jeder Demokratie die Diskussion über den Einsatz und die Begrenzung von staatlicher Gewalt. Ist diese Debatte nicht mehr möglich, dann ist das der Anfang vom Ende der Freiheit.

Hamburg macht mir Angst. Nicht, weil eine Situation außer Kontrolle geriet. Schlecht ist das zwar, aber das kann in jeder Demokratie ab und an mal vorgekommen. Ganz verhindern kann man es nicht, solange man nicht zum Polizeistaat werden will. Stattdessen macht mir Angst, dass man nicht über den Hamburger Polizeieinsatz reden kann. Es gibt in der Debatte um Hamburg nur noch schwarz und weiß; keine Grautöne mehr. Politiker jedweder Couleur sehen sich geradezu gezwungen, sich bedingungslos hinter einen kritikwürdigen Polizeieinsatz zu stellen. In Sozialen Netzwerken fragen die Leute aggressiv in den Kommentarspalten, ob man für oder gegen die Polizei sei. – Was für eine Frage. Natürlich dafür! Natürlich dagegen!

Die Polizei in der Demokratie ist immer ambivalent. Sie ist nie ganz Freund und nie ganz Feind. Sie ist eine Institution, die Freiheit durch Ordnung schafft und Freiheit durch Ordnung begrenzt. Sie ist damit immer wünschenswert und ablehnenswert zugleich.

Jeder Polizeieinsatz muss kritisiert werden. Kein Polizeieinsatz kann jemals kritiklos richtig sein. Selbst wenn die Situation nicht eskaliert, selbst wenn alles friedlich bleibt, selbst wenn sich niemand beschwert, ist die bloße Regelsetzung von Polizistinnen und Polizisten immer ein Eingriff in die Freiheit. Aber jeder Eingriff in die Freiheit muss diskutiert, hinterfragt und angezweifelt werden. Immer, sonst stirbt die Freiheit.

Das Hinterfragen, das Zweifeln und das Diskutieren von Polizeieinsätzen kollidiert mit dem Wunsch der Polizistinnen und Polizisten nach Anerkennung und Unterstützung in der Bevölkerung. Ein Bedürfnis, das man individuell nur zu gut verstehen kann. Ein Bedürfnis das im Grunde alle Menschen haben. Sie wollen gesehen werden und sie wollen, dass man ihr Tun für gut befindet. Ein Bedürfnis, dem man sich als Demokrat bezogen auf die Polizei niemals bedingungslos unterwerfen darf. Das ist der unangenehme Teil des Berufs, den Polizistinnen und Polizisten aushalten müssen. Denn die Kritik an staatlicher Gewalt darf in einer Demokratie nicht enden.

Wenn wir aber Polizistinnen und Polizisten um der Freiheit Willen zumuten müssen, sich ständiger Kritik ihrer Handlungen und Weisungen auszusetzen, dann muss sich eine Gesellschaft auch die Frage stellen, wie man diese Kritik für Polizistinnen und Polizisten erträglich macht. Das geht nur dadurch, dass sich die Polizei nicht an allen Ecken und Enden missachtet fühlt. Denn wenn wir verlangen, dass sich jede Polizistin und jeder Polizist kritisieren lassen muss, dann müssen wir im Gegenzug sicherstellen, dass diese nicht noch zusätzlich ertragen müssen, auf dem Boden zu schlafen, zu dehydrieren, schlecht geführt, versorgt und bezahlt zu werden. Die Rahmenbedingungen des Polizeidienstes müssen so wertschätzend ausgestaltet sein, dass die Dauerkritik am Einsatz aushaltbar wird.

In Hamburg passierte genau das Gegenteil. Die Versorgung, Führung und Erholung der Einsatzkräfte war so schlecht abgesichert, dass viele Polizistinnen und Polizisten zu Recht klagen, dass sie unter schwersten Bedingungen einen Dienst verrichten mussten, der nun auch noch von Leuten kritisiert wird. Ein sich aufbauendes Gefühl in der Polizei, das klingt wie „dann macht Euren Scheiß doch in Zukunft alleine!“.

Genau an dieser Stelle macht mir Hamburg Angst. Die Rahmenbedingungen für den schwierigen Polizeidienst wurden so schlecht gestaltet, dass man aus schlechtem Gewissen im Nachhinein die Kritik am Einsatz einstellen musste. Jetzt stehen wir vor dem Problem, dass eine Stimmung geschaffen wurde, die es vorerst sehr schwer macht überhaupt noch konstruktiv Kritik am Polizeihandeln zu üben.

Die Konsequenz: Wir gehen das Risiko ein, dass staatliche Gewalt expandiert. Wir riskieren, dass Wasserwerfer selbstverständlicher eingesetzt, Demos schneller zerschlagen und Bürgerinnen und Bürger schneller hart von der Polizei angepackt werden. Ein Weg, der nicht gut ist für eine Demokratie.

Der Weg zurück ist klar und erfordert politisches Handeln: Wir brauchen mehr Polizei, damit Überbelastungen abgebaut werden. Wir müssen an der Bezahlung von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten arbeiten. Wir müssen eine gute Versorgung im Einsatz sicher stellen. Wir müssen Polizeitaktiken neu überdenken, damit einzelne Polizistinnen und Polizisten nicht gefährdet werden und wir müssen wieder anfangen Kritik an der Polizei zu üben. Konstruktiv und sachbezogen – auch wenn es weh tut. Auch wenn man dadurch in aufgeheizter Stimmung Stimmen verliert. Denn nur mit ständiger Kritik verteidigt die Polizei die Freiheit und zerstört sie nicht.

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