Der Gut-Böse Gott

Bibelarbeit von Erik Flügge auf dem Kirchentag 2019 in Dortmund.

Hiob 2 6-13
Der HERR sprach zu dem Satan: Siehe da, er sei in deiner Hand, doch schone sein Leben! Da ging der Satan hinaus vom Angesicht des HERRN und schlug Hiob mit bösen Geschwüren von der Fußsohle an bis auf seinen Scheitel.
Und er nahm eine Scherbe und schabte sich und saß in der Asche. Und seine Frau sprach zu ihm: Hälst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Fluche Gott und stirb!
Er aber sprach zu ihr: Du redest wie törichte Frauen reden. Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen? In diesem allen versündigte sich Hiob nicht mit seinen Lippen.
 
Als aber die drei Freunde Hiobs all das Unglück hörten, das über ihn gekommen war, kamen sie, ein jeder aus seinem Ort. Elifas von Teman, Bildad von Schuach und Zofar von Naama. Denn sie wurden eins, dass sie kämen, ihn zu beklagen und zu trösten. Und als sie ihre Augen aufhoben von ferne, erkannten sie ihn nicht und erhoben ihre Stimme und weinten, und ein jeder zerriss sein Kleid, und sie warfen Staub gen Himmel und auf ihr Haupt und saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.
 
„Guter Gott“ – „Guter Gott“ – mit diesen Worten richten sich viele Gebete gen Himmel. „Guter Gott“ – und jedes dieser Gebete verkennt ihn so sehr. Alles Gut ist an diesem Gott, der mit uns seine Spiele spielt, nicht. Wenn er Lust auf eine Wette hat, dann gibt er uns für alles Leiden frei.

Er ist nicht gut, nicht besser, nicht am besten. Gott ist alles. Auch jeder Scheiß. Gott ist das Elend, die Vernichtung, die Nacht genauso wie der Tag. Und jeder Schmerz, den Hiob erträgt, erkennt er als genau das, was er ist, „das Böse von Gott“, das er annehmen muss.
 
Den guten Gott, den gibt es nicht. Es gibt nur den manchmal besser und manchmal schlechter gelaunten Gott. Mehr nicht. Heute Dein Retter und morgen wirft er dich nieder und zerbricht jeden Knochen in Dir. Krankheit und Heilung. Beides ist Gott.
 
Wie sollte es auch anders sein? Ist nicht das Wesen Gottes, allumfassend zu sein – universell. Wie also sollte etwas Gott sein, das nicht gleichzeitig zu vollkommener Gnade auch vollkommene Gnadenlosigkeit ist?
Wie sollte ein Gott universell sein, wenn er nur Lebensstifter wäre aber nicht Mörder zugleich.
 
Die Weisheit der Bibel liegt im Erfassen genau dieser göttlichen Doppelgesichtigkeit. Die Weisheit Hiobs liegt in der Beschreibung genau dessen. „Wir haben gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?“
Gott schuf den Himmel und die Erde. Gott schuf den Tag und die Nacht. Das Leid und das Glück. Gott hält alles immer im Gleichgewicht.
 
Die Doppelgesichtigkeit Gottes ist schwer zu ertragen. Sie ist brutal. Sie zwingt uns anzuerkennen, dass Gottes Schöpfung nicht nur liebliche Blumengärten sind, sondern dass der Tsunami, der 100.000 Menschen das Leben kostet, genauso Teil der göttlichen Schöpfung ist wie die Pest.
 
Gott, der alles ist, ist alles zugleich. Er rettet das Volk Israel vor der Vernichtung durch die Ägypter und vernichtet die Ägypter im Gegenzug. Ein Massaker.

Er befiehlt den Völkermord genauso wie er die Menschheit dahinrafft mit Plagen und Sintfluten, nur um danach mit Regenbogenromantik Besserung zu geloben, bevor er erneut die Fluten über Pharaos Heer zusammenstürzen lässt.
 
Die Doppelgesichtigkeit Gottes ist kaum auszuhalten. Darum finden sich jene Kleingeister in der Theologie, die immer nur in der Bibel akzeptieren wollen, was ihnen gefällt. Die Aufsätze darüber schreiben, dass die Bibel an genau den Stellen, an denen sie von der göttlichen Vernichtung schreibt, nur ein Mittel der Rechtfertigung menschlichen Unrechts gewesen sei oder die Verklärung der Natur, Aber natürlich sollen im Gegenzug all die guten Taten Gottes alle Gültigkeit haben.
 
Nein, ich widerspreche. Ich widerspreche dem „guten Gott“, den wir hier auf dem Kirchentag bejubeln und beklatschen. Der uns umarmt und beschützt und behütet und so gnadenvoll sein soll. Ich widerspreche diesem „guten Gott“, weil Gott der Gut-Böse ist. Der Himmel und Erde geschaffen hat, den Tag und die Nacht, das Leben und den Tod, die Hoffnung und die Verzweiflung, die Heilung und die Pest.
 
Um Gott wahrhaft gerecht zu werden, müsste die Hälfte unserer Gebete angewidert ausgesprochen werden. „Ja, Gott, wir sehen, dass du uns wieder mit Elend überhäufst. Ja Gott, wir sehen das Pech, dass du über uns ausgießt. Ja Gott, wir sehen die Vernichtung die du bringst. Nur wer die widerliche Fratze Gottes erträgt, wird Gott ganz sehen. Alles andere ist nur die verklärte Vision eines schützenden Vaters, der immer gerecht und gut sein soll. Aber seid ehrlich, welcher Vater ist gerecht, der immer nur gut ist? Gott ist der Gut-Böse. Universell, alles zugleich.
 
Was ist nun der Mensch, der diesem Spiel der Erhebung und Niederwerfung ausgeliefert ist. Was ist er mehr als ein Spielball einer höheren Macht, die um unser Glück wettet. Was sind wir anderes als ein Einsatz beim Roulette des Elends im göttlichen Spiel?
 
So viel präziser die Heilige Schrift die doppelgesichtige Natur Gottes versteht als all diese Guter-Gott-Prediger, so sehr versteht sie auch die menschliche Natur zu beschreiben. Die Bibel ist präzise in der Differenz zwischen uns und Gott.
 
Im Schöpfungsmythos heißt es, dass der Mensch wider den Willen Gottes vom Baum der Erkenntnis gegessen habe und damit gelernt hat, was der Unterschied zwischen Gut und Böse ist.

Keiner von uns hier sollte dumm genug sein, zu glauben, dass es diese paradiesische Szene wirklich gegeben hat. Sie ist eine Erfindung von Priestern im babylonischen Exil. Aber was sie ist, ist verpackt in eine Anekdote die wohl denkbar brillanteste Beschreibung der menschlichen Besonderheit.

Wir können – so wir uns nicht blind besoffen klatschen und singen über den guten Gott und seine Liebe – die wahre Natur Gottes erkennen. Wir sehen das göttliche Unrecht so wie wir göttliche Liebe sehen. Wir können wissen, Gott ist gut und auch das Böse.
 
Nichts anderes finden wir auch in der Geschichte des Hiob wieder. Er sieht den Terror Gottes. Er weiß, wer ihm dieses Elend beschert und es bestärkt in ihn seinem Glauben. Ja, wenn Gott wahrhaftig alles ist, dann ist er eben auch aller Terror dieser Welt.
 
Genau dieses Wissen von Gut und Böse macht den Menschen aus. Genau die Kraft beides unterscheiden zu können, ist befreiend. Weil wir verstehen können, dass Gott immer alles ist, aber wir nicht alles sein müssen.

Wir – im Gegensatz zu Gott – können eines sein: Gut oder Böse. Besser gesagt, wir könnten es sein, so wir denn endlich wirklich wollten. Wir sind das Wesen, das der Ambivalenz allen Seins entkommen kann. Wir sind der Ausbruch aus der alles ausgleichenden Schöpfungsordnung.

Wir haben vom Baum der Erkenntnis gegessen und haben uns selbst deshalb die Verantwortung zur Entscheidung gegeben. Es liegt an uns, gut oder böse zu sein.

Deshalb verändert sich auch der Charakter der Heiligen Schrift so substantiell zwischen dem alten und dem neuen Testament. Deshalb wird das ständige hin und her von Liebe und Strafe, das im alten Testament prägend ist im neuen abgelöst von allumfassender Liebe.

Nicht, weil Gott seinen Charakter geändert hat, nicht weil der Gott im Himmel nicht mehr universell ist, sondern weil dieser Gott Mensch geworden ist. Er wurde zu dem Wesen, das einzig vor die Entscheidung gestellt ist, ob es ein gutes oder ein schlechtes Leben leben will.
 
Erst als Gott Mensch wird, ist er die Last des alles-sein-müssens los. Er befreit sich durch seine Geburt als Mensch aus der Klammer der Gleichzeitigkeit von Gut und Böse. Er wird wie Hiob. Ein Mensch, der Gottes Niedertracht genauso wie seine Liebe sieht. Er macht es richtig, er betet auch den widerlichen Gott an. „Vater, lass diesen Kelch an mir vorüber gehen“- und nichts geschieht. Hiob schabt seine Geschwüre und betet:

Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin, und die Nacht, da man sprach: Ein Knabe kam zur Welt! Jener Tag sei Finsternis, und Gott droben frage nicht nach ihm! Kein Glanz soll über ihm scheinen! Finsternis und Dunkel sollen ihn überwältigen und düstere Wolken über ihm bleiben, und Verfinsterung am Tage mache ihn schrecklich! Jene Nacht – das Dunkel nehme sie hinweg, sie soll sich nicht unter den Tagen des Jahres freuen noch in die Zahl der Monde kommen! Siehe, jene Nacht sei unfruchtbar und kein Jauchzen darin!

Und Jesus, der Gott als Mensch, betet voller Verzweiflung „mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ und lässt sich unter Schreien jeden Nagel am Kreuz durch die Gliedmaßen schlagen. Beide wissen, dass sie den Bösen Gott erleben und dieser böse Gott Teil dessen ist, was der gläubige Mensch ertragen muss.
 
Der wahre Gottesglaube ist so, wie Elie Wiesel ihn beschreibt. Der war als junger Mann in einem Konzentrationslager gefangen und erlebte mit, wie die Rabbiner abends nach quälendem Arbeitszwang zu Gericht saßen – nicht über ihre menschlichen Schergen, sondern über Gott.

Sie verhandelten, ob denn Gott an all ihrem Elend, an ihrer Erniedrigung und Vernichtung Schuld trage. Für und wider trugen sie die Argumente vor und konnten schließlich nicht anders, als Gott für schuldig zu erklären. Er hatte wie schon so oft zuvor alles Böse genauso wie alles Gute bedingt.

Die Doppelgesichtigkeit Gottes ist nicht zu ertragen!

Dann standen sie auf, gingen in den Schlafraum nebenan und beteten zu jenem Gott, den sie soeben schuldig gesprochen hatten. Was anderes sollte man tun, als Mensch, der die Natur Gottes als allumfassend Gut-Böse erkennt. Sie baten um das Gute in all ihrem Leid.
 
Hiob schabt seine Wunden. Jesus geht in den Tod. Die Rabbiner beten nebenan zu dem Gott, der alles ist. Gut und Böse zugleich.
 
Aber wir, wir Menschen müssen keine Welt im Gleichgewicht halten. Wir müssen nicht alles sein. Auch Gott als Mensch muss nicht alles sein. Wir sind limitiert und damit frei – frei zur Entscheidung. Wir können den Kranken helfen, auch wenn uns selbst durch Gott die Krankheit treffen kann. Wir können den Armen helfen, auch wenn uns selbst durch Gott die Armut treffen kann. Wir können Leben retten, auch wenn uns selbst durch Gott der Tod ereilen kann. Wir können anders sein als Gott – besser.
 
Das ist die Entscheidung, vor die uns unsere Fähigkeit zur Erkenntnis von Gut und Böse stellt. Wollen wir anders sein als der ambivalente Gott? Wollen wir die Freiheit Leben, die uns durch das Geschenk der Unterscheidung von Gut und Böse gegeben ist? Wollen wir Gottes Menschwerdung zum Vorbild nehmen? Wollen wir gut sein, so wie Gott ganz und gar versuchte gut zu sein, als er befreit, weil limitiert als Mensch lebte.

Lasst euch nicht einreden, der ambivalente Gott wollte eure Entscheidung nicht. Lasst euch nicht einreden, dass ein Wort des bösen Gottes euch hindern soll, dem guten Gotte nachzueifern. Lasst ihr nicht die Menschen ertrinken, die Gott in die Fluten wirft! Seid menschlich und frei!

Die Entscheidung ist eure und sie ist vielleicht die größte Schöpfungstat Gottes. Er schuf den Menschen mit seinem Eigensinn, auf dass er sich selbst bemächtige vom Baum der Erkenntnis zu essen, auf dass er erkenne, was gut und böse sei und sich vom Allmächtigen darin unterscheide, dass er nicht alles sein muss, sondern gut sein kann.
 
Im Ende hat uns Gott zugesagt, Gericht zu halten. Nicht über sich – denn zu welchem Urteilsspruch sollte er da kommen als zu dem, dass er alles war. Genauso schuldig wie unschuldig, genauso gut wie böse zugleich. Er hat uns zugesagt, Gericht zu halten über uns. Als der Gott, der alles ist, strafend und gnadenvoll zugleich. Einer der nicht anders kann, als immer in vollkommene Gerechtigkeit auszugleichen. Ob dieser Gott alles ausgleichende Gott es erträgt, das Gleichgewicht am Ende aller Zeit aufzulösen, wenn wir uns alle als Gut im Leben erwiesen, ist ungewiss. Einen Versuch ist es allemal wert.

Squirrel & Nuts GmbH
S&N Kommunalberatung
Logo der barracuda GmbH