Ich glaube: Das Tanzverbot ist theologisch falsch.

„Wenn ein Freund von mir stirbt, dann ist mir nicht nach Feiern zu Mute“ antwortete der Pastoraltheologe Prof. Matthias Sellmann vor ein paar Jahren auf einen Facebook-Post von mir. Ich hatte mich kritisch zum Tanzverbot geäußert.

Bis heute beschäftigt mich die Frage des Tanzverbotes jedes Jahr an Karfreitag. Vielleicht auch gerade wegen des Disputes mit Matthias Sellmann, den ich sonst sehr für seine theologischen Perspektiven schätze. So emotional verständlich seine Aussage für mich war, so halte ich daran fest, dass das Tanzverbot theologisch falsch ist.

Viel kann man dieser Tage wieder darüber lesen, dass das Tanzverbot in das Leben derjenigen eingreift, die keine Bindung zum christlichen Gott haben. Und analog zum Sterben jedes anderen Menschen lässt sich durchaus fragen, warum die Welt nicht nur für die Trauernden still stehen soll, sondern auch für jene, die keinen Bezug zum Toten haben. Es sind die Fragen einer sich immer stärker säkularisierenden Welt, in der die Herrschaft religiösen Denkens – vielleicht zu Recht – zur Disposition gestellt wird.

Dieser Diskurs lässt sich trefflich führen, aber mein Interesse gilt einer anderen Frage. Ich will nicht wissen, ob das Tanzverbot für den nicht glaubenden Menschen eine Zumutung ist, sondern ob das Tanzverbot mit der österlichen Botschaft überein zu bringen ist.

Stimmen das Tanzverbot und die Botschaft des Osterfestes überein? 

Das Osterfest bildet den Mittelpunkt des Christentums. Tod und Auferstehung sind das Gravitationszentrum des Glaubens an den Gott, der Mensch wurde. Die Menschwerdung unterscheidet das Christentum von anderen Weltreligionen. Sie stellt eine neue Form der Offenbarung Gottes gegenüber dem Menschen dar. Anstatt des Diktates göttlicher Weisungen in Form einer heiligen Schrift, die einen Propheten zum Medium der Selbstoffenbarung Gottes macht, wird im Christentum Gott selbst zum menschlichen Medium seiner Offenbarung. Ein wahrer Gott, der wahrer, verletzlicher, scheiternder, gekreuzigter Mensch zugleich ist.

Das Osterfest ist nicht die Krönungsfeier eines Christus König, sondern ist Dokumentation des Scheiterns Gottes als Mensch und des Scheiterns des Menschen. Gott als Mensch überzeugt kaum. Er tobt durch den Tempel, aber löst das dortige Wuchern nicht auf. Gott redet zu tausenden Menschen, kann aber doch nur wenige für seine Nachfolge erwärmen. Gott steht vor Gericht und kann seine Unschuld nicht beweisen. Der Gott-Mensch stirbt machtlos.

Seine Jünger erkennen in seinem Tod kein Opfer. Sie ziehen sich in Verzweiflung zurück. Verzweiflung über den verloren Freund und Verzweiflung darüber, dass ihr Messias doch nur Mensch gewesen ist. Um sie herum lebt die Welt weiter. Das geschäftige Treiben in Jerusalem hält nicht inne. Niemand nimmt Rücksicht auf ihr Trauergefühl. Die Auseinandersetzung der Jünger mit dem Sterben Jesu findet allein und einsam statt.

Dieser Moment des Zweifels ist von Dauer. Jesus stirbt nicht und steht wieder von den Toten auf, sondern er bleibt tot. Nicht Stunden, sondern Tage. Er bleibt so lange tot, bis sich in die Gemüter seiner Jünger die Gewissheit eingebrannt hat, dass ihr Messias verloren ist – für immer. Er bleibt tot, bis sich die engsten Vertrauen wegwenden, während die Welt um sie herum ihre Verzweiflung nicht zur Kenntnis nimmt.

Erst in dem Moment, da niemand mehr an Jesus als Messias glaubt, wird er von den Toten erweckt. Seine Auferstehung offenbart sich nicht den Jüngern, sondern den Frauen am Grab. Ihrem Bericht schenken die Freunde Jesu kein Vertrauen. Sie glauben nicht, denn für sie ist Jesus ein toter Mensch.

Warum nun offenbart sich Gott in solcher Weise? Warum vollbringt er nicht sein Wunder der Auferstehung vor den Augen der Welt? Warum zwingt seine Allmacht den Menschen nicht die Gottesfürchtigkeit auf, sondern bittet geradezu demütig um unseren Glauben?

– Ostern ist das Fest der Wegwendung des Menschen von Gott und der gleichzeitigen Hinwendung Gottes zum Menschen- 

Ein Gott, der solches tut, will mehr verkünden, als nur seine eigene Allmacht. Ein solcher Gott erzählt von der Gnade nicht glauben zu müssen. Im Osterfest – und insbesondere im Karfreitag – liegt Gottes Versprechen verborgen, dass der Mensch sich abwenden darf von Gott. Sein Versprechen, dass der Mensch Gott sogar tot schlagen kann, ohne dass Gott mit der Welt bricht. Es gibt keine Verpflichtung dazu, sich auf Gott zu richten. Der Mensch darf ganz bei sich sein, bei seiner Freude, bei seiner Trauer. Der Mensch darf ganz auf die Welt gerichtet sein und in diese Welt wird Gott ein Zeichen geben, das groß genug ist, es zu erkennen, aber das einfordert, es glauben zu wollen.

Das Tanzverbot an Karfreitag greift die Botschaft Gottes im Kern an. 

Kann denn das Tanzverbot in Gottes Sinne sein? Kann es richtig sein, dass staatliche Gewalt die Menschen zwingt um Jesus zu trauern? Kann es richtig sein, dass die gesellschaftliche Ordnung mit erhobenem Finger aufs Grab zeigt und ruft „wendet euren Blick nicht ab, auf dass ihr die Auferstehung nicht verpasst“?

Im Garten Gethsemane bittet Jesus um den Beistand seiner Jünger. Sie sollen mit ihm wachen und beten. Er zwingt sie nicht und so schlafen sie ein.

Auch an Karfreitag bittet Gott darum, ihm – dem ängstlich-schwachen Menschen – beizustehen. Er bittet darum, nicht allein gelassen zu sein im Todeskampf. Doch er zwingt die Menschen nicht – auch auf das Risiko hin, dass viele von ihnen einschlafen und ihn alleine sterben lassen.

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