Kirchenaustritte: Thesen für eine stabilere Kirche

Politikberater Erik Flügge (Portrait)

Die Kirchenaustrittszahlen sind dramatisch. Egal, was gerade der aktuelle Anlass ist, die Austritte sind ein skandalunabhängiges Phänomen, das beide großen Kirchen seit Jahrzehnten begleitet. Sie nehmen in Zeiten der akuten Krise nur zu. Da sind sie immer. Deshalb muss man die Frage von der Flucht aus den Kirchen auch systematisch-strukturell anschauen und nicht situativ. Es folgen nun Thesen dazu, wo das Problem liegt und wie man es angehen kann: 

Diejenigen, die die Kirche verlassen, verspüren keinen Mangel an ihrer Kirche.Sie stellen sich vielmehr die Frage, was ihnen ihre Kirche bringt und kommen zu dem Schluss: Nichts. Dementsprechend gehen sie. 
Die falsche Antwort:Die könnten sich ja engagieren und die Kirche verändern. 
Die richtige Antwort:Wir könnten uns ja verändern und dafür sorgen, dass diese Leute überhaupt erstmal etwas von ihrer Kirchenmitgliedschaft haben. Gelingen kann das nicht durch neue Angebote, sondern nur durch neue Kommunikation. Es gilt, die Mitglieder anzurufen oder aufzusuchen, um mit ihnen überhaupt in einen ersten Kontakt zu kommen.

Eine große Kirche kann keine Sammlung der individuellen Selbstverwirklichungen sein.In der Kirche dreht sich beim Personal viel zu viel um die Frage der persönlichen Entwicklung, der persönlichen Vision, des persönlichen Glaubens- und Kirchenbildes. Das ist alles schön und gut, aber es hilft nichts, um eine Großorganisation zu erhalten. In einer Großorganisation muss man sich die Frage stellen, wer funktioniert und was funktioniert. 
Die falsche Antwort: Aufhören, Dinge auszuprobieren.
Die richtige Antwort:Dinge ausprobieren, messen, was funktioniert. Konsequent einstellen, was nicht funktioniert und verstärken, was Wirkung zeigt. 

Die Wahrscheinlichkeit, dass man selbst ein besseres Ritual entwickelt als die entsprechenden Expertinnen und Experten ist gering. Im kirchlichen Leben begegnet man einer erschreckend großen Anzahl peinlicher Formen und Rituale. Der Grund dafür ist, dass Einzelne meinen, sie könnten aus dem Bauch heraus bessere Formen finden als diejenigen, die sich fundiert mit der Entwicklung von Formen beschäftigen. Vereinzelt mag das gelingen, aber flächendeckend wird es zum Desaster.
Die falsche Antwort: Nicht auf die Wünsche von Gläubigen eingehen, wenn diese für ihre Hochzeit, Taufe, Beerdigung um etwas Besonderes bitten. 
Die richtige Antwort:Formen durchführen wie sie im Messbuch stehen. Nicht dran herumschrauben, weil man denkt, anders wäre es besser. Es wird fast nie besser dadurch. 

Kirchliches Personal wird wie Führungskräfte bezahlt und verhält sich nicht so.Wussten Sie, dass Priester, Pastorinnen und Pastoren zu den rund 10 Prozent der bestverdienenden deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zählen? Von Menschen, die ich als Führungskraft bezahle, kann ich als Arbeitgeber Loyalität und strategisches Handeln erwarten. Ich kann erwarten, dass mich diese Mitarbeitenden öffentlich verteidigen, dass sie sich an Kennzahlen messen lassen und dass sie meine Strategien als Leitung akzeptieren und vorantreiben. 
Die falsche Antwort:Kritik nach innen nicht mehr zulassen. Nur weil man Loyalität erwarten kann, hat man nicht immer Recht.
Die richtige Antwort:Nur nach innen kritisieren und nach außen loyal tun, was beschlossene Sache ist. 

Ohne moralische Autorität muss man zu Fragen der Moral schweigen. Die katholische Kirche hat ihre moralische Autorität verspielt. Selbst die eigenen Mitglieder halten sich nicht an die moralischen Gebote ihrer Bischöfe. Der Grund: Man weiß gar nicht, warum ausgerechnet diese Leute irgendwie geeignet wären, moralische Leitplanken für das Leben zu geben. 
Die falsche Antwort: Als Kirche insgesamt aufhören, sich mit Moral zu beschäftigen. 
Die richtige Antwort:Identifizieren, welche Personen in der Kirche (auch außerhalb der Hierarchie) aufgrund ihres Lebens und Glaubens für moralisch integer erachtet werden und diese in Fragen der Moralverkündigung nach vorne stellen. 

Man kann neues geistiges Liedgut schön reden, aber dadurch wird es nicht schön. Der Gedanke vom neuen geistigen Liedgut war dereinst ein guter. Man griff in den 1970ern die Klänge der Zeit auf und integrierte sie ins kirchliche Leben. Der Fehler war, diese Bewegung nur einmal zu vollziehen und dann auf dem Sound der 70er hängen zu bleiben, während die umgebende Welt sich kulturell weiterentwickelte.  
Die falsche Antwort: Nur noch Orgel spielen. 
Die richtige Antwort:Jede Zeit braucht ihr jetztzeitiges Liedgut, das dem Sound von heute folgt. Das heißt, kirchliche Musik muss immer klingen wie die Charts. Dementsprechend braucht es jedes Jahr ein neues Liederbuch mit den kirchenmusikalischen Evergreens und den Liedern von heute. 

Wer nur einmal etwas will, ist wichtiger als alle, die immer kommen. Wenn ich als Kirche groß bleiben will, dann muss ich meine Kraft auf diejenigen konzentrieren, die nur selten etwas von mir wollen. Denn wer nur einmal zu einer Beerdigung etwas von seiner Kirche will, muss auch genau dann einen guten Kontakt zur Kirche haben. Scheitert diese eine Kontakt, scheitert der Kontakt für immer. 
Die falsche Antwort: Die Aktiven in der Kirchengemeinde links liegen lassen. 
Die richtige Antwort:Die Zuständigkeit für Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen aus der Gemeinde ausgliedern und durch professionelle Teams auf Dekanats- bzw. Kirchenkreisebene besser lösen. 

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