Kirchenschließung: Gott sei Dank!

In den deutschen Diözesen geht die Angst vor Kirchenschließungen um. Ich freue mich auf jedes einzelne geschlossene Kirchenportal. Jeder Schlag der Abrissglocke gegen einen Glockenturm ist ein Geläut, das mir Hoffnung macht.

Wenn Kirchen geschlossen werden, dann verabschiedet man sich von einem letzten Rest. Wo kirchliches Leben noch floriert, da gibt es keinen Grund zu einem solch drastischen Schritt. Es gibt sie noch, die Kirchen in denen ein lebendiges Leben herrscht. Es gibt aber auch die real existierende, Beton gewordene Depression.

Kirchengemeinden, in denen gar nichts geht, außer Gejammer. Pastorale Teams ohne Lust und Motivation voller Bedenkenträgertum. Eine Bürokratenkirche, die mit Vorliebe Probleme sucht und niemals etwas wagt. Die mit jedem Satz die Freude aus den Hörern lutscht. Seelsorger vor denen man aus Sorge um die eigene Seele flieht.

Diese Gemeinden sind wie die Giftmüllkippe eines lebendigen Christentums. Am Leben gehalten durch unkündbare Arbeitsverträge und hängend an der Infusion stetig tröpfelnder Kirchensteuereinnahmen.

Vergiftet hat den Geist dieser Gemeinden ein fortwährender Niedergangdiskurs. Das seit Jahrzehnten anhaltende Gefühl, dass eben gar nichts geht in der Kirche, außer einem ganz langsamen Sterbegebet. Es ist der Kater nach einem Drogenrausch. Dem Drogenrausch der übervollen Kirchen nach dem Krieg, der bis in die 1960er hinein anhielt. Eine Zeit, als in Deutschland alles, wirklich alles so kaputt war, dass sich riesige Teile der Bevölkerung an die Kirchen klammerten. Man baute riesige Gotteshäuser für die vielen, die Gottes Beistand suchten.

Heute gibt es in Deutschland wieder mehr als nur die Kirche. Gott sei Dank ist das Land nicht mehr so innerlich ethisch-moralisch verrottet und äußerlich zerstört wie nach dem Krieg. Mit jedem neuen Zuhause im Wiederaufbau gab es weniger Gründe, unter das Dach der Kirche zu schlüpfen. Bis hin zum Normalzustand. Wann, ja wann waren Kirchen jemals voll? Wann, ja wirklich wann außer nach dem Krieg kam ein nennenswerter Anteil der Mitglieder am Sonntag in die Kirche? Es ist Jahrhunderte her oder fand niemals statt. Aber das ungewisse Gefühl, zu verlieren, blieb.

Es gibt zu viele Gemeinden, in denen die Normalisierung zum Drama verklärt wurde. Gemeinden, in denen das Krebsgeschwür des schlechten Gewissens wuchert. Gemeinden, die glauben, sie hätten versagt, weil nach den 1960ern weniger Menschen kamen. Man hätte es als positives Zeichen für Deutschland erkennen müssen – hat man aber zu oft nicht. Das Ergebnis ist eine pastorale Depression, die von Generation zu Generation vererbt wird. Man kann eh nichts machen, die Leute bleiben sowieso fort. Wenn man so denkt, dann stimmt das sogar. Die Leute bleiben fort. Nicht automatisch, sondern weil der innerkirchliche Dauerfrust sie treibt.

Von dieser Depression ist ein Christentum übrig, das keine Zukunft hat aber noch zu viele Kirchengebäude. Reißt sie ab, ist besser so.

Die 10 Thesen für das Comeback

Aktuell machen in der katholischen Kirche „zehn Thesen für das Comeback der Kirche“ die Runde. Ein deutliches Manifest für mehr Missionstätigkeit getragen von den jüngeren konservativen Kreisen in der Kirche. Leute mit Lust an einer Kirche, in der was geht. Zu den Erstunterzeichnern zählen unter anderem der Kölner Kardinal Woelki und Passauer evangelikale Bischof Oster.

Die Thesen haben es in sich. Die Mission soll die Priorität Nummer 1 in der Kirche werden. Im Bekehrungseifer sollen auch Gläubige anderer Religionen bekehrt werden. Kooperiert werden soll mit den evangelikalen Freikirchen, um von ihnen zu lernen und überhaupt sei ohne Fasten und Gebet eben alles nichts. Da wundert es kaum, dass diese Thesen die üblichen Reflexe hervor bringen: Die Liberalen in der Kirche regen sich auf. Die Konservativen jubeln. Kindergarten.

Ich als Erzliberaler habe überhaupt keine Lust diese zehn Thesen zu unterzeichnen. Eine Kirche, die diese zehn Thesen befolgen würde, wäre in meinen Augen ein Horrorverein. Aber ich habe auch nicht den Drang, wie viele andere, sofort wieder zu zetern. Denn in diesen zehn Thesen steckt verdammt nochmal ein Potential. Das Potential einer ehrlichen Analyse, wie diese Zitate zeigen:

Die Kirche hat keinen Bock mehr: „Die Kirche muss wieder wollen, dass Menschen ihr Leben durch eine klare Entscheidung Jesus Christus übergeben. Sie ist ja weniger eine Institution oder Kulturform als eine Gemeinschaft mit Jesus in der Mitte.“ „Eine Kirche die nicht freudig und überzeugend auf alle zugeht, hat keine Mission; sie verliert ihr Warum und Wozu.“

Ja, Kirche muss nach außen gehen und darf sich nicht in einer Depression einrichten. Wir vergeuden zu viele Ressourcen auf den Beton gewordenen Verwaltungskatholizismus und zu wenig auf Aktivitäten, die eine Wirkung erzielen.

Ich gebe gerne zu, die Liste der Unterzeichner dieser zehn Thesen lässt mich gruseln. Da sammelt sich das gesamte evangelikale Potential der Kirche. Menschen, die ernsthaft glauben, man könne mit dem Youcat in der Hand die Jugend bekehren. Aua, das tut so weh. Christen, die glauben, dass ausschließlich zentrale Anbetungsevents der Nukleus eines neuen Katholizismus sein können. Leute, die gegen die Ehe für alle sind und sich eine konservative Wende wünschen. Ich verkneife mir, was ich darüber denke.

Was man ihnen allen lassen muss: Sie glauben allesamt noch daran. Sie glauben noch daran, dass aus dem Katholizismus etwas werden kann. Sie glauben, dass diese Kirche in Deutschland nicht vor die Hunde geht, wenn wir die gewaltigen finanziellen und personellen Ressourcen nur richtig ausrichten. Sie schreiben: „Wir glauben, dass die Chancen nie größer waren als jetzt“ und vielleicht haben sie mit dieser Aussage Recht. Aber sie stehen sich selbst im Weg – genau wie liberale Katholiken auch.

Denn die zehn Thesen formulieren einen alleinigen Wahrheitsanspruch und ihre Vertreter sprechen zu oft einem aktiven Katholizismus anderer Couleur die Existenzberechtigung ab. Die aktiven, aufbruchsorientierten Kräfte in der Kirche links und rechts greifen sich lieber gegenseitig an, als anzuerkennen, dass sie beide Teil einer zukünftigen Kirche sind, wenn sie nur den depressiven Klotz am Bein loswerden.

Wenn man schon Thesen für eine lebendige Kirche formulieren will, so doch inklusive statt exkludierende. Ja, 11.000 vor sich hin betende Jugendliche in Augsburg bei einem Glaubensevent sind ein echter Erfolg evangelikaler und frömmelnder Katholiken. 100.000 sozial engagierte Jugendliche bei der 72-Stunden-Aktion des BDKJ aber auch. Auch wenn dabei nicht gefastet und relativ viel weniger gebetet wird.

Thesen für eine Lebendige Kirche sollten in meinen Augen darauf zielen, die lebendige Kirche zu stärken und die dahin siechende Kirche endlich hinter sich zu lassen. Lebendig ist die Kirche allerdings auf beiden Flügeln. Links wie rechts. Sie ist lebendig in den geistigen Gemeinschaften mit ihren Gebetevents, aber sie ist eben auch lebendig in der Gemeinde eines befreundeten liberalen Pfarrers, der gerade mit den Mitgliedern eine soziale Kaffeerösterei gegründet hat.

Fünf neue Thesen für ein echtes Comeback der Kirche

These 1
Alle Kräfte in der Kirche, die aktiv daran mitwirken, dass die Kirche eine Wirkung erzielt, müssen gestärkt werden. Sei dies in der Evangelisierung, in der caritativen Arbeit, in Verbänden oder in der Bildung. Katholische Ausgaben müssen sich streng an ihrer Wirkung messen lassen. Dafür müssen transparente und messbare Kriterien aufgestellt werden. Wie viel Geld wollen wir für Aktionen aufwenden, um wie viele Menschen mit Glauben zu erreichen. Kosten, denen keine akzeptable Nutzerzahl gegenübersteht müssen gestrichen und neu verteilt werden. Dabei darf und muss es eine Vielfalt an Formen und Positionen nebeneinander geben. Diejenigen Formen und Positionen, welche die meisten Anhänger mobilisieren werden mit den meisten Ressourcen gestärkt. Wir wollen mehr von dem, was funktioniert und weniger von dem, was man verzweifelt versucht am Leben zu erhalten.

These 2
Die personellen und finanziellen Ressourcen der Katholischen Kirche müssen aus einer territorialen Logik in die Gemeinschaftslogik überführt werden. Geld muss dort investiert werden, wo sich Gemeinschaften bilden und miteinander den Glauben leben. Das kann selbstredend in einer klassischen Kirchengemeinde mit aktivem Gemeindeleben sein. Es muss aber nicht. Die Kirche muss nicht in der Fläche existieren, sondern überall dort, wo Katholiken sich zusammenfinden. Dies bedeutet eine proaktive Auflösung von Kirchengemeinden, die keine Kraft mehr haben, zu Gunsten von Verbänden, geistigen Gemeinschaften und offenen Formen, die sich immer wieder neu gründen und zusammenfinden.

These 3
Die Kirche muss eine Gründerkultur innerhalb der Kirche fördern. Dafür braucht es Personal, das sich mit der Initiierung und dem Aufbau von immer neu entstehenden Formen vor Ort befasst. Dies kann ganz unterschiedliche Formen annehmen. Beispielsweise die Form von Wanderpredigern, von Events, von Gemeindegründern, Formenentwicklern oder Pilgergemeinschaften. Der Katholizismus muss immer wieder neu entstehen, damit er nicht erneut zu alt wird.

These 4
Die Katholische Kirche in Deutschland hat neben der religiösen Tradition auch eine bürokratische entwickelt. Erschreckenderweise ist an vielen Stellen die bürokratische Tradition zur dominanten geworden. Daher müssen Verwaltungsstrukturen radikal gekürzt, zurück gebaut und zentralisiert werden. Es braucht ein Servicecenter des Katholizismus in Deutschland, das die Verwaltung aller kirchlichen Rechtsakte vornimmt und darüber hinaus nicht das geistige Leben innerhalb der Kirche dominiert. Doppelfunktionen von Seelsorge und Verwaltung müssen konsequent aufgelöst werden. Entweder man ist für die Verwaltung da oder für die Menschen. Beides zugleich sorgt nur für Frust.

These 5
Die Katholische Kirche muss sich von Mitarbeitern trennen, die die Hoffnung auf eine Zukunft des Katholizismus aufgegeben haben. Wir brauchen keine Verkündiger der Hoffnungslosigkeit sondern der frohen Botschaft. Ein harter Satz, aber wenn wir uns nicht trauen, die schwierigen Trennungen konsequent vorzunehmen, dann lähmen wir diejenigen, die noch Lust am Gestalten haben.


Ein echter Aufbruch für die Kirche braucht eine Versöhnung der aktiven Kräfte in der Kirche. Denn es bekämpfen sich vor allem diejenigen Teile, die mit der Kirche noch etwas wollen. Einer der Erstunterzeichner der zehn Thesen könnte tatsächlich ein echtes Signal zum Aufbruch geben. Bischof Oster, der das Amt des Jugendbischofs bekleidet. Wenn seine Forderung nach einer aktiv glaubenden und das Evangelium verkündenden Kirche eine echte ist, dann kann er positiv anerkennen, wie aktiv der Glaube in der katholisch-verbandlichen Jugendarbeit des BDKJ gelebt wird. Ihm mag die Form nicht gefallen, ihm mag die Interpretation nicht munden, aber er kann erkennen und positiv würdigen, dass sowohl die evangelikal-konservativen als auch die verbandlich-liberalen ein Ziel gemeinsam haben: Sie glauben noch daran, dass aus dieser Kirche etwas werden kann. Sie sind im besten Sinne keine depressiven Bürokraten.

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