Kulturchauvinismus – über eine gerechtere Kulturpolitik

Es sind Millionenbeträge, die selbstverständlich beschlossen werden, wenn ein Theater oder eine Oper renoviert oder neu gebaut wird. Klar, schließlich handelt es sich um Leuchttürme der Hochkultur. Eine Sichtweise kommt dabei allerdings fast immer zu kurz: Hochkultur ist eine Umverteilung von unten nach oben.

Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0, Thomas Ott, D-64367 Muehltal, www.o2t.de
Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0, Thomas Ott, D-64367 Muehltal, www.o2t.de

Ich bin ein kulturinteressierter Mensch. Ich gehe gerne ins Theater und genieße gute Inszenierungen. Ich finde Hochkultur hat einen Wert – einen sehr großen sogar. Wenn ich mir aber die Kulturförderung anschaue, dann muss ich anerkennen, dass es ein Ungleichgewicht gibt zwischen der Massenkultur und der Hochkultur – ein millionenschweres.

Wenn man die Besucherzahlen von Kinos und Theatern vergleicht, dann kommt man zu einem einfachen Ergebnis: Der Film gewinnt. Jedes Jahr fahren hundertausende junge Menschen auf Festivals, Konzerte bringen Zehntausende zusammen und der furchtbare Mario Barth füllt Stadien. Diese massenkompatiblen Kulturangebote haben eines gemeinsam. Sie müssen sich zum größten Teil selbst tragen. Sie werden nicht mit Millionenbeträgen aus Steuergeld gefördert. Ein Kinobetreiber, der nicht genügend Karten verkauft, muss eben schließen. Nein, STOP, ganz stimmt das auch nicht. Es gibt natürlich auch noch jene kleinen Programmkinos für die Intellektuellen – die werden natürlich gefördert. Schließlich sitzt deren Zielgruppe im Rat.

Der unerträgliche Mario Barth leistet Aufklärungsarbeit über die Marketing-Tricks, die in der Fernsehwerbung angewandt werden, um Kunden zu beeinflussen. 

Ja, man muss es kritisch anmerken. Rein zufällig werden all die Kulturveranstaltungen massiv gefördert, deren Konsumenten in Stadt- und Gemeinderäten sitzen. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie werden vornehmlich von Akademikerinnen und Akademikern besucht – genauso wie die Räte voll mit Studierten sind – gerade die könnten sich aber meist höhere Eintrittspreise leisten.

Ich habe nichts dagegen, dass Hochkultur gefördert wird, um sie in ihrer Qualität zu erhalten und auch für finanziell schwächere Zielgruppen zugänglich zu machen. Ich möchte aber in Frage stellen, ob das heutige Ungleichgewicht in der Kulturförderung auch nur im entferntesten dem Prinzip der Gerechtigkeit folgt. Wozu braucht im Ruhrgebiet jede Stadt ihr Theater, die eigene Philharmonie oder das eigene Opernhaus obwohl die Spielstätten gerade mal 20 Minuten mit der S-Bahn auseinander liegen? Wozu wird in Heidelberg für 52 Millionen Euro ein Theater saniert, obwohl das Mannheimer Ensemble in 15 Minuten Entfernung bekannter und erfolgreicher ist?

Das Heidelberger Beispiel ist nur eines unter vielen. Dort kostet die Sanierung des Theaters 346 Euro pro Einwohner. Eine beachtliche Summe, von der man jedem Bürger 43 Kinovorstellungen zu je acht Euro spendieren könnte. Dabei ist bei dieser Gegenüberstellung der laufende Betrieb noch gar nicht eingerechnet. Wäre es nicht fairer, wenn es in den beiden Nachbarstädten Mannheim und Heidelberg nur ein gut ausgestattetes Theater gäbe und die eingesparten Millionen für andere Formen der Kultur aufgewendet würden? Fahren wir nicht auch einige Kilometer zum Fußballstadion oder hunderte Kilometer zum Festivalgelände.

In Deutschland wird Kulturchauvinismus betrieben. Die eine Form der Kultur wird als förderungswürdiger und wertvoller anderen Formen der Kultur entgegen gestellt. Rein zufällig ist die wertvolle Kultur immer die der Besserverdienenden. Es handelt sich um eine Umverteilung von unten nach oben.

Wie sähe eine gerechte Kulturpolitik aus?

Eine Kulturpolitik, die die kulturelle Teilhabe der gesamten Bevölkerung im Blick hat, müsste gerecht nach Anteil der Bevölkerung und den jeweils präferierten Kulturangeboten differenzieren. Sie müsste gleichsam fragen, wo betreiben wir ein zentrales Theater und eine zentrale Oper für ein gesamtes Gebiet und wie gelingt es uns, den Kinobesuch bezahlbar zu halten. Wie schaffen wir es, dass mehr junge Menschen auf Konzerte fahren können und welche Möglichkeiten haben wir, dass sich jeder eine Vorstellung des unerträglichen Mario Barth leisten kann, der sich dieses antun möchte, statt ausschließlich Kleinkustbühnen für Intellektuelle zu fördern, auf denen man sich über den unerträglichen Mario Barth lustig macht.

Christine Prayon verspottet die Kultur der sozial schwächeren Zielgruppen unter tosendem Applaus der intellektuell-sozialkritischen Oberschicht. 

Kulturelle Teilhabe ist nicht damit geschaffen, dass Menschen eine Karte für ein Programm bezahlen können, das sie nicht verstehen. Kulturelle Teilhabe muss bedeuten, dass Menschen Zugang zu Angeboten bekommen, die sie in der Gesellschaft sprachfähig machen, die ihnen neue Gedanken vermitteln, die sie unterhalten und ihnen gut tun. Unsere vielfältige Kulturlandschaft leistet dies bereits. Allerdings zahlen die Schwächeren ihre Kultur komplett selbst und finanzieren mit ihren Steuern und Abgaben die Kultur der Stärkeren mit. Eine gerechte Kulturpolitik geht anders.

P.s.: Ich liebe die Nummer von Christine Prayon – sie ist großartig und ich hatte beim ersten Sehen Schmerzen vor Lachen. Ich bin ein Kulturchauvinist wie jeder andere, aber ich wehre mich gegen strukturellen Kulturchauvinismus in der Kulturförderung. Privat gehöre ich definitiv zu den intellektuell-sozialkritischen Hochkulturfans.

Squirrel & Nuts GmbH
S&N Kommunalberatung
Logo der barracuda GmbH