Über Haltung, Meinung und Authentizität im Journalismus

Erik Flügge

Der von mir geschätzte neue Moderator der ZDF-Nachrichtensendung heute+ stellt auf twitter eine spannende Frage und sie regt mich an, mich an einer Antwort zu versuchen:

und weiter:

Ich plane und organisiere PR-Kampagnen für die Politik. Wenn es um die Frage des guten Journalismus geht, bin ich wohl zusammen mit den anderen in meiner Branche, das Gegenüber, gegen das sich guter Journalismus erwehren muss. Daher nimmt meine Betrachtung nicht für sich in Anspruch vollständig oder hinreichend zu sein, aber sie ist vielleicht gerade deshalb ein Beitrag, weil sie kritisch hinterfragt, ab wann die Beziehung zwischen den Spindoktoren und den Journalisten problematisch wird.

Haltung, Authentizität und Meinung

Um mich den drei Begriffen anzunähern und sie schließlich in Beziehung zueinander zu setzen verhalte ich mich in diesem Artikel im wohl schlimmsten Sinne unwissenschaftlich und unjournalistisch. Ich habe keine einzige Definition gelesen und nicht recherchiert, was zu diesem Thema schon geschrieben wurde.

Der Definitionsversuch, den ich unternehmen möchte, ist demnach nicht referenziell. Er interessiert sich kein bisschen für das, was bereits gesagt wurde, weil mir scheint, dass das, was über diese drei Begriffe gesagt wurde, auch für diejenigen, die sie heute verwenden, nur eine geringe Rolle spielt. Wer von den Begriffen redet, schöpft aus seiner Intuition und versucht seinen eigenen Punkt damit zu untermauern und sich selbst als guter Journalist zu profilieren. Demnach scheint es mir sinnig, mich diesen Begriffen allein aus ihrer eigenen semantischen Fülle heraus anzunähern und nicht ausgehend von weitergehenden begrifflichen Definitionen und Konzeptualisierungen. Dass mir das am Ende nicht in Gänze gelingen wird und auch ich auf Tradiertes zurück greife, wurde mir erst am Ende des Schreibens bewusst.

Haltung

Haltung ist ein interessanter Begriff. Haltung kann man unmittelbar bemerken. Sie ist sichtbar, insofern es sich um eine äußere, also körperliche Haltung handelt. Die Haltung bedingt sich aus der eigenen Natur und Statur, aber eben auch aus gesellschaftlicher Konvention. Es gibt gute Haltung und schlechte Haltung und der Bewertungsrahmen ist die Gesellschaft.

Haltung ist erlernt. Wir schauen sie uns von anderen ab und sie ist kodifiziert. Rücken gerade, aufrechter Gang, nicht am Tisch hängen – all das sind bestimmte gesellschaftliche Erwartungen an die eigene körperliche Haltung. Mit der inneren Haltung verhält es sich ganz genauso. Sie erwächst nicht aus sich selbst, sondern sie schöpft sich aus der eigenen Ethik und diese ist stets gesellschaftlich bedingt und erlernt.

Für den Journalismus und die journalistische Haltung gilt das in genau der selben Weise. Haltung zu besitzen, bedeutet eben, sich ganz bewusst an einer journalistischen Ethik anzulehnen und dieser zu entsprechen. Diese muss man dafür aber auch erst einmal gelernt haben. Auseinandersetzungen mit der Frage, was guter Journalismus ist und welchen Prinzipien er folgt, gibt es zu genüge. Annähernd so schlaues, wie diejenigen, die dies zuvor definierten, werde ich nicht aufschreiben können, daher erspare ich uns dies.

Haltung muss – egal wie genau ihre zu Grunde liegenden ethischen Prinzipien exakt formuliert sind – vor allem eines leisten: Sie muss limitieren. Der Journalismus und die PR liegen zu nahe beieinander. Wir kennen uns alle untereinander. Wir trinken Bier zusammen, zum Teil haben wir gemeinsam in Wohngemeinschaften gewohnt, studiert, miteinander geschlafen oder uns im Rausch nach Haus getragen. Nicht Geld, sondern Beziehung korrumpiert den Journalismus und genau hier ist das Haltgebende der Haltung gefragt. Nur die Haltung – und das mag mir innerlich widerstreben – ermöglicht es mir prinzipiengeleitet die persönliche Beziehungsebene hinten an zu stellen und professionell und gleichzeitig scharf nachzufragen, auch wenn es sich um einen Freund handelt, der gerade befragt wird.

Authentizität

Während Haltung das äußere, erlernte ethische Korsett des eigenen Handelns beschreibt, ist mit Authentizität genau das Gegenteilige gemeint. Hier geht es um das eigene ich in all seinen eigenartigen Facetten. Die Art wie ich empfinde, denke, die Welt betrachte, all das hat Einfluss darauf, wer ich bin und drängt nach außen.

Der Journalismus tut gut daran, nicht einfach schauspielerische Rollen zu definieren, denen man zu entsprechen hat, sondern sucht auch danach, dass Menschen in ihrer jeweiligen Unterschiedlichkeit durch Selbstausdruck Beziehungen zum Publikum ermöglichen. Erst über diese Beziehungsarbeit – sei sie in Text, Ton oder Bild – haben Informationen das Potential in breiter Masse vom Publikum verarbeitet zu werden.

Authentischer Selbstausdruck muss sich also Raum erkämpfen in der journalistischen Vermittlung, aber er darf nicht die Haltung überwinden. Das authentische Gefühl des Mitleids oder des Hasses gegenüber einer Person, darf nicht zum Leitfaden einer Recherche oder eines Interviews werden. Damit unterwerfen sich Journalisten mit all ihren Gefühlen, Wünschen und Träumen einem Über-Ich aus Regeln, die dazu dienen die Qualität des Journalismus zu sichern und davor zu bewahren, selbst zum Politiker werden zu wollen.

Meinung

Folge ich dem Gedanken Freuds, der sich nun doch in diesen Beitrag eingeschlichen hat, weiter, so stellt die Meinung schlussendlich wohl das Äquivalent zum freud’schen Ich dar. Sie ist die abgewogene, verständig-kritische Artikulation einer Kombination aus Haltung und Authentizität. Wenn sie journalistisch sauber formuliert ist, dann nimmt sie auch auf beide Prägefaktoren des journalistischen Ichs Bezug. Sie macht deutlich, welcher Aspekt ihrer Aussage empfunden ist und hinterfragt diesen dann auf der Basis des eigenen journalistischen Ethos kritisch.

Damit ist eine gute Meinung im Journalismus niemals nur Bauchgefühl. Sie bleibt nicht stehen bei der Aussage eines Wunsches, Traumes, sie bricht sich nicht Bahn in Zorn oder Liebe, sondern sie kommt stets reflektiert und selbstkritisch daher.

Haltung, Authentizität und Meinung 

Unternehme ich nun also den Versuch die drei Begriffe, die Daniel Bröckerhoff definiert haben möchte, in einer Gesamtdefinition zusammen zu denken, so scheint mir die Anlehnung an das freud’sche Modell die sinnigste Variante:

„Freud Ich“ von Freud-5.jpg: Rainer Zenzderivative work: Madden (talk) - Freud-5.jpg. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons - http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Freud_Ich.svg#/media/File:Freud_Ich.svg
„Freud Ich“ von Freud-5.jpg: Rainer Zenzderivative work: Madden (talk) – Freud-5.jpg. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons – http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Freud_Ich.svg#/media/File:Freud_Ich.svg

Die Haltung soll dabei verstanden werden als Über-Ich, die Authentizität als das Es und schließlich die Meinung als die Reaktion des Ichs unter Berücksichtigung der Einflüsse aus Über-Ich und Es, indem es Bezug nimmt auf den zu beschreibenden Gegenstand.

 

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