Wie die SPD bessere Begriffe findet als “Spurwechsel”

Eine Autobahn auf der sich viele Fragezeichen befinden symbolisiert den Begriff: Spurwechsel

Wahrlich, die SPD spricht weltfremd. Es mangelt nicht an Beispielen für Monsterbegriffe in der SPD. Feststellen lässt sich das leicht, nur leider scheint es ungemein schwieriger für die SPD, das Problem zu lösen. Daher liefere ich in diesem Artikel eine kleine Anleitung. 

Die SPD hat gerade eine neue Idee. Diese Idee heißt “Spurwechsel”. Jetzt sollte eigentlich klar sein, worum es geht. Schließlich sucht man in der Sprache Begriffe, damit man etwas begreifen kann. Mit dem Wort “Spurwechsel” ist nur leider gar nichts klar. Geht es um Autos? Fahrräder? Fußgänger? Was will die Partei und wozu soll ich mir als Zuhörerin oder Zuhörer eine Meinung bilden? Ganz ehrlich, keine Ahnung.

Das Wort “Spurwechsel” ist ein schönes Beispiel für einen neuen Trend in der SPD. Seit Journalistinnen und Journalisten und Leute wie ich angeprangert haben, dass die Begriffe der SPD klingen wie verstaubte Verwaltungsvorlagen arbeitet die Partei daran, neue Worte für die eigenen Vorhaben zu finden. Man sucht jetzt Begriffe aus dem Leben. Manchmal gelingt das gut wie bei der “Eine-für-alle-Klage”. Häufig genug klingen die neuen Begriffe aber schräg. Besonders begehrt und schräg scheinen dabei Begriffe zu sein, die aus dem Verkehrsbereich stammen. Wie zum Beispiel die “Brückenteilzeit”, “doppelte Haltelinie” oder gerade eben ganz neu der “Spurwechsel”.

Das Grundproblem bleibt: Worum geht’s?

Ernsthaft, liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, es ist egal, ob ihr Begriffe aus dem Leben nehmt oder aus dem Aktenschrank. Solange man durch den Begriff nicht begreift, was ihr wollt, ist es keine gelungene Kommunikation. Auch wenn es neuerdings schöner klingt.

Es hilft nicht, wenn ihr einen Begriff prägt, nur um danach sagen zu müssen: “Mit Spurwechsel wollen wir sagen, dass Asylbewerber, die in Deutschland eine Ausbildung gemacht haben und in der Wirtschaft gebraucht werden, auch eine langfristige Bleibeperspektive bekommen sollen.” Wenn ihr nach dem Begriff noch eine Erklärung braucht, ist es kein Begriff, sondern Quatsch.

Wie findet man Begriffe?

Für das, was die SPD gerade “Spurwechsel” nennt, findet man recht leicht einen Begriff:

“Wer gebraucht wird, kann bleiben.”

Ich weiß, mein Begriff ist kein Wort. Aber ein Begriff muss kein Wort sein. Ein Begriff kann und darf problemlos auch ein Grundsatz sein. Deshalb heißt es ja auch “Grundsatz” und nicht “Grundwort”. Kurze, prägnante Sätze sind sogar häufig besser als einzelne Worte. Weil unser ganzes Denken in Sätzen und Phrasen und nicht nur in Worten funktioniert. Übrigens macht es die Konkurrenz genauso. Die CSU sagte vor einigen Jahren “Wer betrügt, der fliegt!”. Ich musste diesen Satz nicht einmal nachschlagen. Ich weiß ihn, weil er leicht zu merken ist und ein Begriff ist für ein Konzept, das ich doof finde, aber immerhin sofort verstehe.

Ich könnte jetzt jedes Mal einen Artikel schreiben, wenn wieder ein neuer nicht funktionierender Begriff geschaffen wird. Mein Artikel lautet dann stets wie mein letzter zu diesem Thema: “Nein, sage nicht ‘subsidiär Schutzberechtigte’ sondern “von Tod und Folter bedrohte Menschen'”. Aber diese Artikel lösen das Problem nicht, weil offenbar dort, wo die Kommunikation entsteht, das Konzept des “Begriffs” nicht begriffen wurde.

Deshalb hier einige Grundsätze der Begriffsfindung nach Paul Grice, der zu der Frage forschte, wie genau eine Botschaft von Mensch zu Mensch übermittelt und verstanden wird:

  1. Quantität: Mache Deinen Begriff so lang, wie er sein muss, damit ihn jemand versteht. Mache ihn nicht länger.
  2. Qualität: Sage mit Deinem Begriff, was wahr ist.
  3. Relevanz: Sage nicht, was nicht zum Thema gehört.
  4. Modalität: Dein Begriff muss Ordnung ins Chaos bringen.

Wende ich diese vier Prinzipien auf einen Begriff wie “Spurwechsel” an, dann verstößt dieser gegen einige:

  1. Quantität: Der Begriff “Spurwechsel” ist zu kurz. Nach dem Lesen weiß ich nicht, was ich wissen soll.
  2. Qualität: Der Begriff “Spurwechsel” ist wahr. Leute sollen das Verfahren wechseln können.
  3. Relevanz: Der Begriff “Spurwechsel” ist nicht relevant. Man sagt etwas zu einem Verkehrsthema – die schnellste Assoziation ist ein Auto auf der Autobahn und nicht das Thema des Begriffs.
  4. Modalität: Der Begriff sagt nicht, wer was nach welchen Regeln tut.

Warum komme ich aufgrund der gleichen Regeln zu meinem Begriff: „Wer gebraucht wird, kann bleiben.“?

  1. Quantität: Der Grundsatz „Wer gebraucht wird, kann bleiben“ sollte immer gelten. Er ist korrekte Haltung der SPD bei Flüchtlingen genauso wie bei anderen Migranten. Ich kann ihn daher so stehen lassen ohne ein weiteres Wort zu verwenden, weil er auch in einem weiteren Verständnis noch die Position der Partei beschreibt.
  2. Qualität: „Wer gebraucht wird, kann bleiben“, formuliert, was die SPD erreichen will. Damit ist er wahr.
  3. Relevanz: Der Begriff „Wer gebraucht wird, kann bleiben“, ist die Botschaft, die ich vermitteln will.
  4. Modalität: Der Begriff „Wer gebraucht wird, kann bleiben“, ordnet sehr klar, was die SPD sagen will. „Wer gebraucht wird, kann bleiben“, aber nicht jeder, der bleiben will, darf es auch. Der Bedarf der Wirtschaft entscheidet und nicht der persönliche Wille des Flüchtlings.

Ob mein Begriff der beste ist, um das Ziel der SPD zu beschreiben, weiß ich nicht. Aber er erfüllt die grundlegenden Regeln, die man an einen Begriff anlegen muss. Es ist ein langer Begriff, bestehend aus fünf Worten statt einem. Aber es ist eben ein Begriff, der dafür sorgt, dass man begreift, was gemeint ist.

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