Was ist Ihr Credo?

Rede von Erik Flügge zum Kinofilm “Ein verborgenes Leben” von Terrence Malick über den Christen Franz Jägerstätter, der von den Nazis zum Tode verurteilt wurde, weil er sich weigerte den Eid auf Adolf Hitler zu schwören.
30. Januar 2020, Off Broadway Cinema, Köln.

Meine Damen und Herren, 

ich komme heute Abend direkt zu Ihnen von einer Beteiligungsveranstaltung mit vielen jungen Menschen, die ich heute den Tag über moderiert habe. Die Stadt, in der das stattfand, ist laut der amtlichen Statistik eine der sichersten in ganz Deutschland. 

Dennoch brachten die Jugendlichen ein Thema ein, dass sie sehr beschäftigte. Nämlich dass sie sich im öffentlichen Raum nicht mehr sicher fühlen. Dass sie Angst haben. Und sie zeichneten ein Plakat, das verdeutlichen sollte, wovor sie in dieser so sicheren Stadt Angst haben: Ein dunkler Mann mit Messer. 

Ich kenne dieses Bild, obwohl es erst heute morgen frisch gezeichnet wurde. Ich kenne dieses Bild. Ich kenne es. 

Ich kenne es aus dem Internet, weil es jeden Tag verbreitet wird. Die ständige Geschichte vom Mann mit dem Messer. Der gefährliche Mann. Die ständige Wiederholung vom Ausländer mit dem Messer. Der gefährliche Mann. Die ständige Wiederholung vom Moslem mit dem Messer. Der gefährliche Mann. Die ständige Wiederholung vom Moslem mit dem Messer. Die ständige Wiederholung vom Moslem mit dem Messer. Er kommt näher. Der Moslem mit dem Messer kommt näher. Er kommt. Der Moslem mit dem Messer ist da. 

Die ständige Wiederholung so lange, bis das Bild wahr geworden ist. Die ständige Wiederholung, bis unser Verstand nicht mehr unterscheiden kann, was er gehört hat, was er gelesen hat, was ihm erzählt wurde und dem, was er selbst erlebt hat. 

Täuschend echt. 

Vielleicht kennen Sie den Thriller Inception. Ein ganzer Hollywood-Blockbuster über die Frage wie genau man mit technischen Mitteln einen Gedanken in die Psyche eines Menschen einpflanzt mit Action, Kampf und Nervenkitzel. Im Grunde ein lächerlicher Film, auch wenn ich ihn gerne geschaut habe. Denn es reicht doch schlicht die schnödeste aller künstlerischen Formen: Die ständige Wiederholung, um einen Gedanken wahr werden zu lassen. 

Auch ich habe heute Abend schon das Verbrechen der Wiederholung begangen.
Ich habe einen Akt der Verletzung an Ihnen verübt. Ich habe ihren Verstand angegriffen, habe Sie überwältigt, bin in Sie eingedrungen. Ich habe ein Bild in ihren Kopf geprügelt. Der Moslem mit dem Messer, der Ihnen zu nahe kommt. Der Moslem mit dem Messer in ihrem Kopf. Er ist nun abgespeichert in ihrem Geist und jetzt beginnt für Sie der Kampf dagegen, dass dieses Bild sich nicht mit ihrer Erinnerung vermischt, dass es für Sie wahr wird. 

Meine Damen und Herren, das Mittel der Wiederholung der immer gleichen Geschichte ist nicht neu. „Ceterum censeo Carthaginem esse delendam“ sagte schon Cato der Ältere immer und immer wieder. „Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss.“ So lange, bis das mentale Bild der zu vernichtenden Metropole zur real brennenden Stadt geworden war. 

Der arische Mensch. Die Herrenrasse. Die Herrenrasse, die Du bist. Nicht die anderen, nur Du. Der arische Mensch an der Spitze und der Jude als sein Gegenteil. 
Die ständige Wiederholung erschuf das neue Selbstbild der Deutschen und alsbald schrieen sie, dass im Übrigen der Jude zu vernichten sei.

Eine ständige Wiederholung. Wiederholung. Wiederholung. 
Ketten um unseren Geist. Ein von beständig vorgetragener Erzählung gefesselter Wille.

„Lieber die Hände gefesselt als der Wille“ schrieb Franz Jägerstätter an seine Frau aus dem Foltergefägnis. „Lieber die Hände gefesselt als der Wille“ sind die Worte des Mannes, dessen Schicksal wir heute auf der Leinwand schauen. 

Ein Mann, der allen Wiederholungen des Herrenmenschentums zum Trotz den Gedanken der deutschen Überlegenheit in sich nicht Überhand nehmen ließ. Der Einzige im Dorf, der gegen den Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich stimmte. Der Einzige, der Widerstand leistete, obwohl er wusste, dass sein Widerstand zu gar nichts führt, außer dazu, dass sich die Fessel aus Herrenmenschentum nicht um seinen Willen legen kann. 

Ein Widerstand, der geboren wurde aus Wiederholung. Er konnte sich gegen die ständige Wiederholung der neuen Wahrheit behaupten, weil er eine alte Wahrheit noch öfter wiederholte. 

„Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name. Dein Reich komme, Dein Wille geschehe.“ Immer und immer wieder erneut. Als Bastion gegen den Menschenhass. Als Festung gegen den Judenhass. Eine Erinnerung daran, dass vor der neuen, ständig wiederholten Wahrheit noch eine andere Wahrheit war. 

Meine Damen und Herren, 

welche Wiederholung schützt ihren Wille? Was ist ihr Credo, sei es nun religiös oder eben politisch-demokratisch. Welche Wiederholung sprechen Sie in sich ein, auf dass die Wiederholungen der Menschenfeinde sich Ihrer nicht bemächtigen können? 

Hier ist die Frage unserer Zeit: Widersprechen wir mindestens in uns selbst häufiger der These vom Menschenhass als wir selbst diese hören? Haben wir noch die Oberhand, oder ist es längst gelungen, dass der andere ein Bild in uns erschuf? 

Bilder, die sich unserer bemächtigen wollen. Bildgewaltig: 
„Das Boot ist voll“. 
„Die Messermörder kommen“ 
„Asyltouristen“ 
„Altparteien“ 
„Zwangsgebühren“ 
Oder die geschichtsvergessene Rede vom angeblich „Christlichen Abendland“

Gewaltige Bilder. Bild-Gewalt. 

Nun will ich Sie in diesen Film entlassen und Ihnen die Frage mit auf den Weg geben: Was ist Ihr Credo?

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